SZ (26.03.2005) – Alles muss raus

Der schwierige Verkauf der deutschen Bahnhöfe: “Das Personal wechselt da wie der ICE im Stundentakt” Unrentable Immobilien belasten die Bahn vor dem Börsengang – trotzdem verlangt das Unternehmen von den Kommunen sogar für Bruchbuden hohe Preise Von Michael Kläsgen Düsseldorf – Der Bahnhof von Hilden zum Beispiel. Dort wachsen Bäume, Äste und Sträucher aus den Ritzen des denkmalgeschützten Gebäudes. Auf dem Dach liegt eine verwitterte Pappwand, die wie ein überdimensionales Pflaster zahllose Durchbrüche im Gewölbe abdeckt. Auch die Fenster sind mit morschen Brettern verriegelt. Niemand darf das leer stehende Gebäude betreten – und kaum einer der täglich 3000 Bahnfahrer, die hier aus- und einsteigen, käme wohl auch auf die Idee. Doch die Spritzen, die in manchen Ecken des dunklen Baus liegen, zeigen, dass zumindest Junkies den Bahnhof noch frequentieren. Die einstige Vorzeige-Adresse der Stadt in der Nähe von Düsseldorf ist längst zu einem Politikum geworden, an dem sich die Gemüter erhitzen. Einwohner und Kommunalpolitiker nennen das Gebäude nicht mehr Bahnhof, sondern “Schandfleck” oder “Drecksloch”. In Deutschland gibt es zahllose solcher Bahnhöfe. Manche sind in einem noch erbarmungswürdigeren Zustand als der in Hilden. Solingen-Mitte steht ganz oben auf der Grusel-Skala, seitdem die meisten Züge durch Solingen-Ohligs fahren. Auch in Gelsenkirchen sieht es schlimm aus. Dort nennt man den Bahnhof nicht Schandfleck, sondern “die längste Pissrinne der Welt”. Aber Gelsenkirchen hat Glück. Weil dort im kommenden Jahr Spiele der Fußball-WM stattfinden, unternehmen die Bahn, das Land und der Bund etwas. Bahnhöfe in kleineren Städten hingegen verwahrlosen, weil die Bahn sie nicht mehr braucht. Sie liegen zu weit von den Verkehrsachsen entfernt. Die Bahn kann kein Geschäft mehr mit ihnen machen. Sie sind damit aber nicht nur wertlos für das Unternehmen, sondern eine Belastung, die von Jahr zu Jahr zunimmt. Denn die Gebäude verfallen im Laufe der Zeit immer mehr, und mit dem Verfall sinkt ihr Preis. Je niedriger der Preis, desto schwieriger wird ihr Verkauf. Der gilt aber als zwingend notwendig, wenn die Bahn, wie ursprünglich geplant, nächstes Jahr an die Börse will. Denn dann wird das Unternehmen nach den strengen Regeln des Kapitalmarkts beurteilt und kann und darf sich keine unrentablen Strecken oder Immobilien mehr leisten. Alles, womit man kein Geld verdienen kann, könnte dann den Aktienkurs drücken. Auf der Bahn lastet daher ein enormer Handlungsdruck. Daran ist sie auch selber schuld, weil sie seit Anfang der neunziger Jahre plant, Bahnhöfe zu verkaufen, aber seither nicht weit gekommen ist. Jetzt, da das Jahr des geplanten Börsengangs näher rückt, macht das Unternehmen umso mehr Tempo und stößt Bahnhöfe, Empfangshallen und dazugehörige Grundstücke ab, wo und wie es nur geht. Eine Herkulesaufgabe. Denn die Bahn ist nach der Kirche der größte Grundstückseigner der Republik. Allein von den insgesamt 2400 Empfangsgebäuden will die Bahn bis 2010 alle überflüssigen verkauft haben. Was das genau heißt, kann und will die Bahn nicht sagen. Derzeit prüft sie jeden Bahnhof auf seine “Entbehrlichkeit”. Ein Paket von 1019 solcher nicht mehr für den Betrieb notwendigen Stationen mit und ohne Empfangshallen ging bereits an die First Rail Estate, die damit Immobilienfonds auflegt. Ein weiteres Paket übernahm die Aurelis Real Estate, einer Tochter der Bahn und der WestLB. Das Interesse beider ist, aus der teils maroden Bausubstanz noch Kapital zu schlagen. “Die verkaufen egal wie und egal an wen, Hauptsache die werden die Sachen los”, sagt Ferdinand Reelsen. Der knorrige Ostwestfale aus Rheda-Wiedenbrück bei Gütersloh hat seine Erfahrungen mit der Bahn gemacht. “Die Krönung aber ist, dass die selbst für Bruchbuden noch horrende Preise verlangen. Und den Preis lassen die sich dann auch noch von Gutachtern belegen.” Der Beigeordnete für Wirtschaft und Finanzen hat, “schnell wie das Unternehmen ist”, zehn Jahre mit der Bahn verhandelt. Reelsen ist nicht der einzige, der über extrem haarige und langwierige Verhandlungen mit der Bahn stöhnt. Der Bürgermeister aus Lennestadt im Sauerland zum Beispiel würde am liebsten ein Buch über die Unvereinbarkeit der gesetzlichen Bestimmungen schreiben, die greifen, wenn eine Gemeinde ihren Bahnhof kaufen will. Sein Amtskollege aus Bönen in Westfalen sah sich seinerseits zur Niederschrift seiner Erfahrungen veranlasst. Er musste erkennen, dass sich in dem Unternehmen nichts verändert hat, seit sein Opa die Bahnhofstoilette ausbauen wollte. Auch nach sechs Jahren Verhandlung ist der Kauf in Bönen noch nicht unter Dach und Fach. Einmal abgesehen von dem recht spärlich gesäten Personal, das die Herkulesaufgabe bei der Bahn stemmen muss, fasst der Mann aus dem ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück den wichtigsten Grund für die unerträgliche Langsamkeit bei der Bahn in zwei Sätzen zusammen: “Das Personal wechselt da wie der ICE im Stundentakt. Und wenn es endlich mal zu einem persönlichen Gespräch zwischen dem Bürgermeister und einem Bahnvertreter kommt, hat man den Eindruck: Da sitzt einer, der nicht im Film ist.” Ständig ändern sich Ansprechpartner, Telefonnummern und Zuständigkeiten. “Jedes Mal muss man wieder von vorn anfangen.” Seinen Humor hat der Ostwestfale trotzdem nicht verloren. Schließlich kann er nun zufrieden auf den Bahnhof im Stadtteil Rheda blicken. Vor nicht allzu langer Zeit sah es dort einmal so aus wie in Hilden. “Es stank, es war ein Gräuel, da durchzulaufen, man musste sich wundern, dass überhaupt noch einer mit dem Zug fuhr.” Heute strahlt das Empfangsgebäude dagegen in sonnigem Gelb, drinnen findet der Fahrgast ein Bistro mit kunstlederbezogenen Stühlen und runden Tischen. Der beengte, dunkle Tunnel zu den Gleisen wurde aufgerissen, saniert und strahlt nun lichtdurchflutet. Auch der Bahnhofsvorplatz ist kaum wiederzuerkennen. Statt einer entvölkerten Betonwüste wächst dort nun frisches Grün von Gras und Sträuchern auf einer Verkehrsinsel, die Autofahrern den Weg zu den Parkplätzen weist. “Es ist ein Schmuckstück geworden”, freut sich Reelsen regelrecht ergriffen. Zu diesem Happy End wäre es vermutlich nicht gekommen, wäre nicht vor gut drei Jahren in Nordrhein-Westfalen die BEG, die Bahnflächenentwicklungsgesellschaft, gegründet worden. Die Gesellschaft, die je zur Hälfte der Bahn und dem Land gehört, übernahm zuerst Liegenschaften von der Bahn und fungiert nun als Makler zwischen der Bahn und den Gemeinden. Unter den vielen Zwischenhändlern, die sich auf dem Markt tummelten, sagt Reelsen, sei die BEG einer der wenigen, der nicht nach Gewinnmaximierung strebe und keine Renditeziele der Bahn erfüllen müsse. Auch der BEG ist es jedenfalls zu verdanken, dass die Verhandlungen der Stadt Rheda-Wiedenbrück mit der Bahn dann doch zu einem Abschluss kamen. Damit zählt die Stadt jetzt zu den Ausnahmen in Deutschland. Bundesweit hat die Bahn gerade einmal 160 Bahnhöfe an Kommunen verkauft, obwohl diese zu ihren bevorzugten Partnern gehören, wie ein Bahn-Sprecher sagt. Keine große Ausbeute, gemessen daran, dass die Bahn ihre Ankunftshallen seit langem aus ihrem Portfolio streichen will. Bemerkenswerterweise vollzog sich fast die Hälfte dieser 160 Transaktionen in Nordrhein-Westfalen. Die meisten davon wiederum fanden statt, seit es die BEG gibt. Die Gesellschaft hat nämlich zwei Vorteile: Erstens kann sie, weil das Land beteiligt ist, mit den Fördertöpfen werben, aus denen Gemeinden schöpfen können, die sich zum Kauf entschließen. Und zweitens muss BEG-Chef Thomas Lennertz nicht um jeden Preis verkaufen. “Es ist auch Ramsch dabei”, sagt er ohne Umschweife auf einer BEG-Veranstaltung Anfang März. Zu der haben sich Bürgermeister, Bau-Dezernenten und technische Planer aus allen Ecken des Landes im Essener Haus der Technik versammelt. Das Treffen ist Teil einer neuen Verkaufsoffensive der BEG. Lennertz steht vor dem Rednerpult in einem abgedunkelten Raum, der dem Hörsaal einer Universität gleicht. Er ist einer von einer ganzen Reihe Vortragender, die die kommunalen Abgesandten mit bunten Charts vom Kauf überzeugen wollen. Dabei erfahren die Gemeindevertreter zum Beispiel, dass sie Schienentrassen, die an einer Bundesstraße entlangführen und brachliegen, mit Steuergeld in Radwege umwandeln können und dafür auch noch “Öko-Punkte” kassieren. Die BEG finanziert vor, übersetzt das “Bahn-Chinesisch” und hilft bei den unübersichtlichen Verhandlungen. Denn womöglich haben die Gemeinden an einem Standort gleich mit mehreren Eigentümern zu tun, von denen sie bis dato vermutlich nichts ahnten: die DB Netz AG, die DB AG Holding, die DB Station und Service AG oder auch das Bundeseisenbahnvermögen, um nur einige zu nennen. “Wilde Strukturen” nennt Jost Schulze dieses Zuständigkeits-Wirrwarr, das den Referatsleiter für Stadtentwicklung im sächsischen Innenministerium seit Jahren an der Bahn verzweifeln lässt. “Uns ist nicht mehr zum Lachen”, sagt er. Wie seine Kollegen in Bayern, Rheinland-Pfalz und anderen Ländern müht sich Schulze, die Bahn zum Einlenken zu bewegen. “Doch bislang hat sich da nichts bewegt.” Ein weiterer Brief der Bauministerkonferenz an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn stellt den bisher letzten Versuch dar, die Bahn zur Räson zu bringen. “Die müssen davon abkommen, einen für sich optimalen Kaufpreis erzielen zu wollen.” Weil dies offenbar aber sehr schwer fällt, hat die Bahn keine Eile, das relativ erfolgreiche Modell der BEG in Nordrhein-Westfalen auf andere Bundesländer zu übertragen. Man denke darüber nach, sagt ein Bahn-Sprecher lediglich. Es geht ja auch anders wie das Beispiel in Hilden bei Düsseldorf zeigt. Dort zahlten 1996, bevor es die BEG gab, Privatanleger einen überhöhten Kaufpreis. Der Plan, ein Hotel und Restaurant zu bauen, zerschlug sich. Die Eigentümer zerstritten sich und stellten fest, dass sie mit der Immobilie kein Geld verdienen können. Seither steht der Bahnhof leer und verfällt. Die Bahn rührt das nicht. Sie ist das Objekt los. Den Ärger hat nun die Stadt. Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.70, Samstag, den 26. März 2005, Seite 28

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