Text zur Präsentation Erörterungstermin CO-Pipeline

Präsentation Folie 1 Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Dr. Annette Bauer, ich bin seit fast 20 Jahren Narkoseärztin, seit 15 Jahren Notärztin und habe in diesem Jahr die Qualifikation als Leitende Notärztin erlangt und viel über den Einsatz bei Großschadenslagen gelernt. Ich wohne im Hildener Süden und bin persönlich von der CO-Pipeline betroffen. Ich möchte Ihnen aus meiner Sicht die in diesem Fall besonderen Probleme eines Rettungseinsatzes bei einer Alarmierung entlang der Pipeline darstellen. Wir haben in den letzten Jahren bereits mehrfach Beinahe-Unfälle entlang der Pipeline gehabt: die Aufstellung der Werbetafel in Langenfeld oder die Sicherung der Holzscheite, wir haben auch Beispiele menschlichen Versagens dargestellt bekommen, wie die Anbohrung der Sauerstoff-Pipeline durch städtische Beamte in Köln. Es kann also nur eine Frage der Zeit sein, wann es zu einer massiven Schädigung der Pipeline oder – bei der meines Erachtens unsachgemäß verlegten Leitung – zu einer schleichenden Leckage der Leitung mit Austritt von CO kommen wird. Präsentation Folie 2 Ich werde in meinem Vortrag kurz die Besonderheiten von CO wiederholen, keine Angst: ich werde mich kurz fassen. Bei meinen Recherchen über die Problematik der Pipeline hat mich am meisten das TÜV-Gutachten von 2005 beeindruckt. Ich werde einige wichtige Punkte zum TÜV-Gutachten über die CO-Pipeline zitieren. Dann gehe ich auf das technische Vorgehen bei einer Leckage der Pipeline ein, auf mögliche Alarmierungswege. Etwas ausführlicher stelle ich Ihnen zwei Einsatzszenarien bei einem Bruch der Pipeline dar und die großen Probleme bei der medizinischen Hilfestellung. Präsentation Folie 3 Kohlenmonoxid ist ein tödliches Gift. Wir können es durch unsere Sinnesorgane nicht wahrnehmen. Wie schnell treten Vergiftungen auf? Um das noch einmal zu betonen: durch die hohe Bindungsfreudigkeit von CO an den roten Blutfarbstoff Hämoglobin ist eine Konzentration von nur 1 Volumenprozent in unserer Atemluft nach 1-3 Minuten tödlich. Bei einem Vollbruch der Leitung im mittleren Abschnitt können bis zu 12.000 m3 CO austreten, eine riesige unsichtbare Wolke. Präsentation Folie 4 bis 6 Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Sollte der Anteil von Kohlenmonoxid im Blut unter 40% liegen, hat man eine Chance, den Patienten zu retten. Er muss so schnell wie möglich mit einer hohen Konzentration an Sauerstoff versorgt werden. Das erreicht man am ehesten, wenn er künstlich mit reinem Sauerstoff beatmet wird. Je schlimmer die Vergiftung ist, desto eher muss ihm ein Beatmungsschlauch gelegt werde. Bei geringeren Vergiftungen reicht eine Sauerstoffmaske, über die er selber atmen kann. Der Patient muss so schnell wie möglich einer Überdruckkammer zugeführt werden, die auch für Taucher eingesetzt wird. In Deutschland gibt es 9 solcher Überdruckkammern mit einer 24-Stunden-Bereitschaft. Jede dieser Überdruckkammern kann zwei liegende beatmete Patienten oder 12 sitzende Patienten versorgen. Präsentation Folie 7 Die Überdruckkammern befinden sich in Halle, Berlin, Murnau, Düsseldorf, München, Wiesbaden, Ulm, Stuttgart und Traunstein. Eine andere Therapiemöglichkeit besteht in der Transfusion von fremdem Blut. Dazu müsste aber zuerst die Blutgruppe festgestellt werden und jede Blutkonserve auf ihre Verträglichkeit geprüft werden. Dies dauert etwa 1 Stunde. Blutkonserven für viele Menschen in großen Mengen zu bekommen ist heute quasi nicht möglich. Dies sei nur eine kurze Darstellung über die Therapiemöglichkeiten einer CO-Vergiftung. Weitere gibt es nicht. Präsentation Folie 9 Der TÜV Nord hat 2005 ein Gutachten veröffentlicht unter dem Titel: “Betrachtung der Auswirkungen von Lecks und einem Vollbruch in der Kohlenmonoxidleitung…”. Ich möchte nur auf ein paar wenige Punkte aus diesem Gutachten eingehen. Zunächst möchte ich zwei Begriffe, die eine wichtige Rolle spielen, definieren: AEGL-3 (acute exposure guideline levels) ist die luftgetragene Konzentration, bei der die allgemeine Bevölkerung lebensbedrohende Schädigung oder Tod erleiden kann. Und das genaue Gegenteil: ERPG-3 (emergency response planning guidelines) ist die luftgetragene Konzentration, bei der davon ausgegangen wird, dass unterhalb dieses Wertes beinahe sämtliche Personen bis zu einer Stunde lang exponiert werden können, ohne dass sie unter lebensbedrohenden Auswirkungen leiden. Präsentation Folie 10 Der Tüv benennt an verschieden Stellen im Gutachten, wie eine Leckage der Leitung festgestellt werden kann: 1. Durch Inspektion vor Ort: die Leitung liegt mindestens 140 cm tief im Boden vergraben, 2. Durch Meldung von Personen, die eine Geräuschentwicklung bemerken, 3. Durch Einsatz des Massenbilanzierungsverfahren, d.h. durch softwaregestützte technische Überwachung bei Bayer. Im Gutachten werden verschiedene Möglichkeiten einer beschädigten Pipeline und deren Auswirkung dargestellt. Ich möchte nur zwei davon hier vorstellen und das auch nur bei einem Betrieb der CO-Pipeline mit 13,5 bar, dem Druck, mit dem die Leitung zunächst betrieben werden soll: Präsentation Folie 11 Kommt es zu einem Bruch der Leitung, so kann dies innerhalb einer Minute technisch festgestellt werden. Es gibt fünf Absperrmöglichkeiten entlang der Leitung, die die Pipeline in 10km-Abschnitte unterteilen. Zum Absperren werden etwa 5 Minuten benötigt. Nach einem Störfall und dem Absperren des Abschnittes bewirkt ein Loch in der CO-Pipeline mit einem Durchmesser von 2 cm bis zum Druckausgleich eine AEGL-3-Zone von 55-120 Metern, d.h. dass in dieser Zone kein Überleben möglich ist. Ein Vollbruch der Leitung bewirkt eine AEGL-3-Zone von 180-590 Metern. Präsentation Folie 12 Wie ein solches Gebiet schon nach einer Stunde aussehen könnte zeigt Ihnen dieses Diagramm. Tödlich betroffen wären in der roten Zone etwa 140 Einwohner, schwere Schäden könnten etwa 800 Bewohner betreffen. Sehr eindrucksvoll waren am Dienstag die Bilder aus Duisburg mit anliegendem Kindergarten, Schule und Büros. Präsentation Folie 13 Was ist nun bei einer Leckage der Pipeline zu machen: Erst einmal muss die Leckage überhaupt festgestellt werden, d.h. die Überwachungssysteme müssen funktionieren. Ich erwähnte bereits gestern, dass ein funktionierendes Leos-System Leckagen erst an 100 l/h erkennt. Dann muss die Leckage geortet werden. Dann muss die Ausbreitung des Kohlenmonoxids gemessen werden. Reparaturarbeiten müssen erfolgen. Bei einem Vollbruch der Leitung kommt es innerhalb von 15-20 Minuten zu einem Druckausgleich in einem 10km-Abschnitt. So schnell können keine Reparaturarbeiten erfolgen. Kaum vorstellbar sind bei einer kleineren Leckage Reparaturarbeiten unter Atemschutz in einer Umgebung, die explosionsgefährdet ist oder wartet man von vornherein, bis das Gas komplett ausgeströmt ist. Wie wird die Bevölkerung benachrichtigt? Sirenen? Radio? Fernsehen? und das innerhalb von 15-20 Minuten? Und dann kommt es zum Einsatz von Rettungskräften: Präsentation Folie 14 Ich möchte etwas überspitzt ein erstes Szenario skizzieren: Angenommen ein Mensch hört Gas ausströmen, Geräuschentwicklung nannte das der TÜV. Der Mensch befindet sich in diesem Fall in der AEGL3-Zone, er stirbt innerhalb kürzester Zeit. Vielleicht beobachten dies andere Personen, kommen näher um zu helfen, befinden sich damit aber auch in der AEGL3-Zone. Sollte es zum Einsatz eines Notarztes kommen, so ist auch das Rettungsteam gefährdet. Aber gehen wir von einem anderen Szenario aus: Präsentation Folie 15 Eine Leckage wird der Feuerwehr gemeldet und die Leckage könnte auf 100 m genau bestimmt werden. Die Feuerwehr wird in so einem Fall je nach Ort der Leckage einen MANV-Einsatz auslösen. MANV steht für Massenanfall von Verletzten. Es gibt mobile MANV-Einheiten, die Behandlungsplätze für etwa 50 Personen vorsehen. Dies sind aber Behandlungsplätze für verletzte Patienten. Die Patienten, die in unserem Fall vorkommen sind aber nicht äußerlich verletzt, sie sind vergiftet und brauchen vornehmlich Sauerstoff. Präsentation Folie 16 Es gibt mehrere MANV-Einheiten in dieser Region: 1 Einheit steht in Ratingen und gehört zum Kreis Mettmann. Sie ist sofort verfügbar, sofort bedeutet innerhalb von 30-60 Minuten. Eine weitere Einheit ist in Düsseldorf. Darüber hinaus gibt es weitere Einheiten. Personal dafür ist rekrutierbar, aber nicht sofort einsetzbar. Präsentation Folie 17 Der Kreis Mettmann und Düsseldorf haben also je 1 MANV-Einheit verfügbar. Das sind abrollbare transportable Einheiten, die innerhalb einer halben Stunde aufgebaut sind. In einem solchen Fall wird die Organisation des Großschadenfalles in zwei Teile untergliedert: die Feuerwehr übernimmt die technische Einsatzleitung: sie organisiert die Rettungsfahrzeuge, Löschfahrzeuge, technisches Gerät, und arbeitet eng mit der Polizei zusammen. Die Feuerwehr ist für solche Einsätze trainiert. Die hierarchischen Strukturen sind für Feuerwehrleute ganz klar. Jeder weiß, war er zu tun hat. Der zweite Teil ist die medizinische Leitung. Der zuerst eintreffende Notarzt übernimmt zunächst die medizinische Leitung so lange, bis ein leitender Notarzt eintrifft. Im Kreis Mettmann gibt es eine Gruppe von Notärzten, die als leitende Notärzte qualifiziert und ausgebildet sind und von denen immer einer in Bereitschaft ist. Bei Bedarf können weitere hinzugezogen werden. Zunächst aber gibt es vor Ort nur einen Notarzt. Dieser fährt mit einem NEF= Notarzteinsatzfahrzeug und trifft einen Rettungswagen. Der Notarzt ist mit einem Beatmungsgerät ausgestattet. Er hat noch 1-2 kleine Sauerstoffflaschen dabei. Außerdem gibt es einen Krankentransportwagen ohne Arztbegleitung, der ebenfalls eine oder zwei Sauerstoffflaschen dabei hat. Eine 2l-Sauerstoffflsche reicht bei maximalem Fluß für etwa 15-20 Minuten. Der Weg zur nächst gelegenen Überdruckkammer in der Universität Düsseldorf ist mindestens 20 Minuten. Präsentation Folie 18 Wir sehen also schon, dass die Ausstattung für die Anzahl der Patienten und das spezielle Problem der Patienten nicht ausreicht. Weitere Notärzte werden sofort aktiviert: Der Kreis Mettmann hat 5 Notärzte in Hilden, Langenfeld, Mettmann, Ratingen und Velbert. Somit sind 5 transportable Beatmungsgeräte schnell verfügbar. Einige Patienten mehr sind durch Rettungswagen und Krankentransportwagen mit Sauerstoff behandelbar. Die Zahl der medizinischen Helfer steht mit ihrer Ausrüstung somit einem übergroßen Problem gegenüber. Präsentation Folie 19 Mit der Auslösung eines MANV-Einsatzes kommen wir also nicht weiter. So wird sehr schnell ein Katastrophenfall ausgelöst werden. Dies ist aber nicht durch die Feuerwehr möglich, einen Katastrophenfall kann nur eine übergeordnete Behörde oder der Bürgermeister auslösen. Eine überregionale Versorgung muss aktiviert werden. Man erkennt sehr schnell, dass eine Rettung aller Patienten nicht möglich ist. Wie kann man also die anfänglich nicht betroffene Bevölkerung schützen: nur durch Absperrung des vermutlich betroffenen Gebiets. Präsentation Folie 22 Die Feuerwehr in Hilden hat einige tragbare CO-Messgeräte. Damit wird man die Gefahrenstelle nicht zuverlässig einengen können. Eine großräumige Absperrung des Gebietes kann der einzige Schutz der übrigen Bevölkerung sein. Den Personen nahe der Bruchstelle kann nicht schnell genug geholfen werden. In der AEGL3-Zone können dies schnell mehrere Hundert Menschen sein. Die Personen in den Randgebieten mit leichter Vergiftung müssen sich selbst in Sicherheit bringen, in dem sie schnell genug in die richtige Richtung laufen. Es gibt bisher keine Erfahrung mit so hohen CO-Konzentrationen auf so großem Gebiet. Alle diese dargestellten Werte entstammen mathematischen Berechnungen. Faktoren wie Luftdruck, Windstärke, Regen und Wetterlagen beeinflussen ganz erheblich die Gasausbreitung. Präsentation Folie 23 bis 24 Die Feuerwehrleute arbeiten mit Atemgeräten und können sich schützen. Die normalen Einsatzzeiten betragen 30 Minuten pro Feuerwehrmann. Die Einsatzkräfte auf den Rettungswagen und die Notärzte haben aber keinen Atemschutz. Die Ärzte können also nur an sicheren Orten arbeiten. Feuerwehrleute müssten die Patienten zu den Ärzten bringen. Sie können jedoch wegen Explosionsgefahr das Gefahrengebiet nicht betreten. Präsentation Folie 25 Der Zielsicherheitsgrad für Fernleitungen besagt, dass der Risikolevel so niedrig sein soll, wie vernünftigerweise praktikabel. Der TÜV benennt das Risiko für einen Pipeline-Bruch kleiner als den Grenzwert von 1:1 Mio./km. Ich kann das Risiko nicht einschätzen, halte es aber nach dem vorhin gesagten für viel wahrscheinlicher. Wir erleben Bombenentschärfungen in München, die nicht so glimpflich ablaufen wie geplant, Atomunfälle in Fukushima, Erdbeben, Terroranschläge. Alles Dinge, die nicht vorhersehbar waren oder bei denen man das eintreffende Szenario nicht bis zum Schluss durchgespielt hat. Es müssen aber nicht immer die großen Katastrophen sein, es genügt das Aufstellen einer Werbetafel in Langenfeld. Die Chance im Lotto zu gewinnen liegt bei 1:80 Mio. Fast jede Woche gewinnt einer den Lotto-Jackpot. Ich bin weder Industrie-Gegner noch Greenpeace-Aktivist und gehöre auch keiner Partei an. Ich bin ein vernünftig denkender Mensch, dem es unfassbar erscheint, dass eine solche Pipeline, deren Einsatz vermeidbar ist, überhaupt geplant und dann noch so dilettantisch umgesetzt wird. Sie alle – jeder Einzelne – ist in der moralischen Verantwortung, wenn ein Schadensfall eintritt, weil Sie wissentlich, mit offenen Augen, dies in Kauf genommen haben! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. Annette Bauer

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