In wenigen Tagen ist es soweit: um 19 Uhr an Silvester wird das badische AKW Philippsburg II ein für alle Mal abgeschaltet. Da waren es nur noch sechs laufende Reaktoren in Deutschland, von denen laut Atomgesetz die Hälfte noch zwei und die andere Hälfte noch drei Jahre weiterlaufen kann. Hätte es 2010/2011 nicht die großen Proteste der Anti-Atom-Bewegung gegeben, dann würde Philippsburg noch bis 2033 weiterlaufen – andere Reaktoren sogar bis 2036.
Ich finde es wichtig, dass sich alle Aktiven diese Erfolge immer wieder bewusst machen, darauf stolz sind und auch feiern, trotz aller Sorge, dass in den noch laufenden AKW etwas passiert, dass die Lagerung des Atommülls auf Dauer schiefgeht oder dass die Klimadebatte zu erschreckenden und unsinnigen neuen Atomkraft-Gelüsten führt. Wer sich einmischt, kann etwas erreichen. Das hat die Anti-Atom-Bewegung immer wieder neu bewiesen. Und das kann Atomkraftgegner*innen auch bei zukünftigen Herausforderungen ermutigen.
Apropos zukünftige Herausforderungen: Die erneute Diskussion um Atomenergie nimmt leider immer mehr Fahrt auf. Kürzlich war auf dem Titelblatt des „Spiegel“ die bekannte lachende rote Sonne abgebildet – nur der Spruch war ein anderer: „Atomkraft – ja bitte“. Mich hat das an 2008 erinnert, als ebenfalls auf dem „Spiegel“-Cover der Untergang der Anti-Atom-Sonne im Meer zu sehen war. Zwei Jahre später beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung Laufzeitverlängerungen. Das damalige Titelbild war übrigens der Impuls, der einige Aktive aus der Anti-Atom-Bewegung dazu bewog, aus dem schon 2007 gegründeten Verein .ausgestrahlt eine bundesweit tätige Anti-Atom-Organisation zu machen.
Ein Rückblick auf 2019
Atomausstieg jetzt! Das ist die Forderung von 18-jährigen jungen Menschen, die im Jahr der Unterzeichnung des „Atomkonsenses“ zwischen rot-grüner Bundesregierung und den AKW-Betreibern geboren wurden. Damals wurde der Ausstieg verkündet. Umgesetzt ist er noch immer nicht. „Ihr steigt schon mein ganzes Leben lang aus“ ist deshalb die Botschaft dieser Generation, von .ausgestrahlt auf Postkarten, Plakaten und im Netz verbreitet.
EURATOM abschaffen! Obwohl die Hälfte der EU-Mitglieder keine AKW betreiben, sind alle Zwangsmitglieder im EURATOM-Vertrag und müssen so die Förderung der Atomenergie mitfinanzieren. .ausgestrahlt macht mit einer Info-Aktion rund um die Europawahlen auf diesen Skandal aufmerksam und fordert die Bundesregierung auf, alle nötigen Schritte auf den Weg zu bringen, um EURATOM in seiner bisherigen Form abzuschaffen oder den EURATOM-Vertrag von einem Atom-Förder- zu einem Atomausstiegs-Vertrag umzuschreiben. 10.000 Menschen unterstützen diese Forderung mit ihrer Unterschrift.
Standortsuche vom Kopf auf die Füße stellen! .ausgestrahlt ist eine der wenigen Umweltorganisationen, die sich intensiv und kritisch mit der laufenden Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager befassen. Ohne Mitbestimmung der Betroffenen wird es keine gesellschaftliche Verständigung geben können. Deshalb streitet .ausgestrahlt dafür – mit vielfältigem Infomaterial zum Thema, mit Veranstaltungen in potenziell betroffenen Regionen und gemeinsam mit Bündnispartnern mit einer großen Alternativen Statuskonferenz am 9. November in Hannover.
Atomkraft ist kein Klimaretter! Schon vor zehn Jahren machten die Stromkonzerne mit einer teuren Werbekampagne für ihre angeblichen „ungeliebten Klimaretter“ Stimmung pro Atom. Die Laufzeitverlängerung von 2010 war die Folge. Jetzt wird die alte Platte wieder gespielt, weil die Klimakrise endlich mit voller Wucht im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Atom-Fans verteilen Flyer bei Klimademos und schreiben Gastbeiträge in wichtigen Medien. Diejenigen aus Politik und Wirtschaft, die nie aufgehört haben, für Atomkraft zu sein, trauen sich wieder aus der Deckung. Im Europaparlament stimmen Abgeordnete von CDU/CSU, FDP und AfD gemeinsam für einen Pro-Atom-Antrag. .ausgestrahlt hält dagegen, mit inzwischen 45.000 Flyern für die Klimademos, mit Workshops auf Klimacamps, mit dem Aufbau eines neuen Anti-Atom-Bündnisses aus vielen Akteuren der Umweltbewegung.
Jeder Riss ist ein Riss zu viel! Im AKW Neckarwestheim werden Jahr für Jahr mehr Risse im Dampferzeuger gefunden, inzwischen auch ältere Risse, die bei früheren Überprüfungen übersehen wurden. Mit Aufklärungsarbeit und Aktionen setzt sich .ausgestrahlt zusammen mit örtlichen Initiativen für das sofortige Abschalten des Risiko-AKW ein.
Zusätzlich zu den genannten Schwerpunkten macht .ausgestrahlt Tag für Tag umfangreiche Infoarbeit: Newsletter, Regionalmails, .ausgestrahlt-Magazin, Podcast, Twitter, Facebook, Instagram, Infomail Standortsuche, Ausstellungen, Presseerklärungen, .ausgestrahlt-Blog, Nachrichtenauswertung, Atomradar, Infoveranstaltungen, Flyer und Broschüren, Online-Shop, Hintergrundgespräche und und und …
Ein Ausblick auf 2020
Radioactive Olympics: Tokio ist Austragungsort der Olympischen Sommerspiele. Einige Wettkämpfe wurden von der japanischen Regierung extra nach Fukushima verlegt, um der Weltöffentlichkeit Normalität in den verstrahlten Gebieten vorzuspielen. .ausgestrahlt hält gemeinsam mit der Ärzt*innen-Organisation IPPNW dagegen und klärt über die Situation vor Ort auf. Der Fukushima-Jahrestag im März eignet sich auch für Gruppen vor Ort, das Thema aufzugreifen.
Zwischenbericht Teilgebiete: Voraussichtlich im September veröffentlicht die „Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)“ den „Zwischenbericht Teilgebiete“ und benennt damit die Regionen in Deutschland, die nach ihrer Einschätzung „günstige geologische Voraussetzungen für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle erwarten lassen“, wie es im Gesetz heißt. .ausgestrahlt wird die Standortsuche weiter kritisch beleuchten. Da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu.
Stopp Castor! Eigentlich waren bereits für 2019 neue Castor-Transporte geplant. Daraus ist nichts geworden. Doch jetzt wird es konkret: Im Frühjahr soll hochradioaktiver Atommüll aus der Plutonium-Fabrik Sellafield ins Zwischenlager Biblis (Hessen) rollen. Möglich ist auch ein Transport mit abgebrannten Brennelementen aus atomwaffenfähigem hochangereichertem Uran von Garching bei München ins westfälische Ahaus. .ausgestrahlt wird die Initiativen vor Ort unterstützen – auch, um auf die ungelöste Zukunft der Zwischenlagerung hinzuweisen.
Wie entwickelt sich die Debatte um Laufzeitverlängerungen? Das ist die große Frage für 2020: Viele in der Anti-Atom-Bewegung haben ja schon seit 2011 befürchtet, dass das geplante Abschalten von sechs großen AKW innerhalb von zwölf Monaten Ende 2021 und Ende 2022 zu einer neuen Diskussion über Laufzeitverlängerungen führen wird. Nun hat diese Debatte mit Wucht begonnen. Befeuert von der Klimakrise trauen sich die Atom-Fans wieder an die Öffentlichkeit. Zwar hat die Bundesregierung kurz vor Weihnachten klargestellt, dass es aus ihrer Sicht beim geplanten Ausstieg bleibt – aber begründet wird dies hauptsächlich damit, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Atomkraft ablehnt. Was die Regierung macht, falls sich dies ändern sollte, ist offen.
Ich möchte hier keinen falschen Alarm ausrufen. Aber ich sehe es als Aufgabe von .ausgestrahlt an, zusammen mit Bündnispartner*innen und vielen Anti-Atom-Aktiven in der ganzen Republik aktiv in die Debatte einzugreifen, eben damit sich die Regierung nicht mehr traut, ihre Position zu revidieren.
Zum Schluss dieser Jahreswechsel-Mail bitte ich mal wieder um finanzielle Unterstützung. Ich befürchte immer, wenn ich das schreibe, dass sich der eine oder die andere durch die häufigen Spendenbitten abgeschreckt fühlt.